Barmherzigkeit und Liebe

Konzert vom 29. Juni 2018 im SO 36 in Berlin
Boysetsfire, Boston Manor

Schon wieder das SO36 und diesmal mit einer Band, die ich schon etliche Jahre nicht mehr live gesehen habe und die dennoch zu einer meiner absoluten Lieblingsbands gehört: Boysetsfire. Ich habe in den letzten Jahren zwar viel die einzelnen Projekte von Sänger Nathan verfolgt, wie The Casting Out oder das Nathan Gray Collective, aber die eigentliche Musikkapelle, weswegen ich auf all die anderen Bands gestoßen bin, habe ich sicherlich das letzte Mal 2007 in Saarbrücken gesehen. Danach hatten sie sich vorerst aufgelöst.
Umso schöner, daß sie während der diesjährigen Festival-Tour auch in kleinen Clubs spielen. Egal, welche dieser Bands um Nathan Gray man auch besucht, es ist stets eine wunderbare, kollektive und friedliche Stimmung zu spüren, die nur wenigen Musikgruppen mit ihren Fans eigen ist. Genau diese Stimmung von einer fast familiären Atmosphäre, obwohl man sich überhaupt nicht kennt, ist sicher eine der Essenzen von Boysetsfire. Dazu sind es noch unglaublich authentische und herzliche Menschen, die dort auf der Bühne stehen und ein Sänger, den man nach den Shows immer mitten unter dem Publikum findet, wo er geduldig und offenherzig Selfies machen lässt, kurze Worte mit seinen Fans wechselt und Autogramme gibt. Von Starallüren keine Spur.
Am Ende vollkommen verschwitzt aus dem SO36 zu gehen und an etwas Besonderem teilgenommen zu haben, ist etwas wunderbares. Auch wenn es erst 22:30 Uhr war, hat dieses Konzert dem Tag mit all den Strapazen von Lohnarbeit, den persönlichen Problemen und den immer drastischer werdenden Problemen in dieser Welt soviel positive Energie gegeben, daß man wieder einen Schritt vor den nächsten setzen kann.

 

 

Himmelskörper und schwarze Löcher

Konzert vom 20. Januar 2018 im Cassopeia in Berlin
Celeste, Haeresis

Durch meinen Umzug nach Berlin habe ich eine kleine Konzertpause einlegen müssen. Nicht nur kosten Umzüge viel Geld, auch wollte ich meine neue Wohnung herrichten, was wiederum eine Menge Zeit in Anspruch genommen hat. Dennoch habe ich in der Zwischenzeit einige sehr tolle Bands gesehen, darunter das Motorpsycho Konzert Anfang November im Festsaal in Kreuzberg, was eines der herausragendsten und besten Konzerte des letzten Jahres wurde. Hmm, vielleicht sogar der letzten Jahre. Daneben sah ich noch Toxoplasma, Moskwa, Nietnagel und Raumschiff Antichrist. Eine sehr bunte Mischung und im neuen Jahr habe ich wieder angefangen Bands anzuschreiben, um ihre Konzerte zu fotografieren. Die erste Show sollte von Celeste aus Frankreich sein.

Gerade erst veröffentlichten sie ihr neues (fünftes) Album Infidelè(s) (die Ungläubigen) und da die Band eine sehr markante Bühnenshow liefert, sah ich es als Herausforderung, sie in ihrer selbstgewählten, fast absoluten Dunkelheit zu fotografieren. Meine Freundin Isabel hatte mir zu meiner Freude noch Karten zum Geburtstag geschenkt. Herrlich schöne Karten auf stabilem Karton gedruckt mit dem Motiv der neuen Platte. Das Dumme war wie immer – die Arbeit. In meinem neuen Job musste ich an dem Samstag eigentlich bis 21:15 Uhr arbeiten und ich hatte gesehen, daß Celeste um 21 Uhr beginnen sollten. Das löste natürlich eine besorgniserregende Unruhe in mir aus, ob ich es noch rechtzeitig schaffen würde.

Ich bekam zum Glück eher frei und raste mit meinem Fahrrad von Kreuzberg nach Friedrichshain und wartete bis Isabel mit unserer Freundin Lisa eintraf. Ich trieb die Beiden zur Eile und als wir in der Halle ankamen, hatten Celeste natürlich schon begonnen zu spielen und das Konzert war zudem noch ausverkauft. Eigentlich mein absoluter Alptraum und insgeheim verfluchte ich meinen Job und auch mich selbst, daß ich nicht blau gemacht habe. Zusammen kämpften wir uns durch die Menschen, stiegen über Rucksäcke, die wie Leichen wahllos in der Gegend herum lagen und kamen endlich bei der Bühne an.

Leider etwas zu spät, aber irgendwie gelang es mir, mich in die Musik einzufinden und den Stress davor zu vergessen. Dieser düstere Sound, bei dem man jeden Basston in den Rippen spürt und mich immer mehr in das schwarze Loch hineinsog, daß sich urplötzlich unter meinen Füssen auftat. Dazu die stockdunkle Bühne, die nur von den roten Kopflampen der Musiker und gelegentlichen Stroboskop Blitzen erhellt wurde. Dadurch verschwanden die Individuen und sowohl die Musiker, als auch das Publikum konnten sich dem Klang hingeben und ich sah oft geschlossene Augen, die sich von der Musik treiben ließen.

Leider war der brutale, düstere Sturm nach einer Stunde schon vorbei. Ich freute mich dennoch, denn Celeste haben sogar schon Konzerte von nur dreißig Minuten Länge gespielt. Urplötzlich war die Konzerthalle ratzfatz leer gefegt und wir fragten uns, wo die ganzen Leute hin verschwunden waren. Vielleicht in das schwarze Loch unter meinen Füssen?

Wir wollten zusammen noch was trinken gehen und trafen die Zuschauer dann eine
Etage höher am Merchandise Stand der Band. Mein Portemonnaie war sowieso leer, also brauchten wir uns hier nicht aufhalten. Immer noch hatte ich das Konzert nicht fassen können, aber es war so atemberaubend düster und brutal gewesen, daß ich es noch heute von der Energie zehre.

Wir machten uns noch auf den Weg ins Urban Eck in Kreuzberg, wo wir noch bei ein paar Bier über das Konzert, Monolithen, Lisas neue Installation und Pestizide wie DDT in der ehemaligen DDR und Monsantos Glyphosat philosophierten. Besser können Abende nicht enden, vor allem weil ich sehr rasch betrunken wurde, weil ich noch nichts Vernünftiges gegessen hatte. Zu Hause bekam ich dann endlich ein wunderbares Chili Sin Carne gereicht. Dazu ein kühles Augustiner Bier. Prost!

NATHAN GRAY COLLECTIVE – Until the Darkness Takes Us

Nathan Gray Collective - Until The Darkness Takes Us

Silver Vinyl (ltd. 500 copies) / CD – Digipack
End Hits Records / Tongues Of Fire

Die letzten beiden Tage waren auf jeden Fall von Nathan Grays neuem Album geprägt. Gestern habe ich beim Zoll meinen Pledge in Form eines Shirts, der CD, Nathans Buch und die anderen Goodies abgeholt und heute lag schon das Album in der Vinyl Version bei mir vor der Tür.
Da war natürlich die Freude gross und es hat ein wenig gedauert, bis ich mich in die neue Platte hinein gefunden habe. Nathan Gray und Daniel E. Smith haben die Scheibe komplett D.I.Y. durchgezogen und dafür im letzten Jahr eine Crowdfunding Kampagne gestartet, um die Unkosten zu begleichen. Mit einem Erfolg von über 200% der angestrebten Summe haben sie sicher selbst nicht gerechnet.
Seit dem 03. März ist die neue Platte nun raus und am 24. März steht auch das silberne Vinyl über End Hits Records in den Läden.
Das Cover zeigt einen Leichenaufbewahrungsraum von innen und mit dem Titel ist die Richtung der Platte eigentlich schon klar. Melancholische, schwere und mit einem dichten Musikteppich versehene Songs nehmen mit auf eine Reise in das Graysche Universum. Manchmal klingt die erste EP durch und oft überraschen die Wendungen in den Liedern, die entweder ausufern oder ruhige Sphären beschreiben. Teilweise erinnert der Elektro-Part an die 80’er Jahre und wandelt sich dann in einen düsteren Tanzrhythmus. Wunderbar tanzbare Lieder wie Skin und Remains werden in einen Kontrast gesetzt zu hinreissenden Balladen wie Lusus Naturale oder das unter die Haut gehende Damascus. Das unglaublich treibende At War hat mich komplett umgehauen. Einige Lieder laden eher zum Nachdenken und Innehalten ein, was in diesen hektischen Zeiten nicht verkehrt ist. Manchmal klingen Ministry oder Nine Inch Nails durch und Grooves, die ich nicht wirklich einordnen kann.
Die Mischung aus elektronischen Samples, Piano, Cello und einem natürlichen Schlagzeug und Gitarren ist perfekt gelungen und darum gibt es die volle Punktzahl. Ich bin gespannt auf das Konzert am 10. April in Köln, das Ganze dann mal live zu sehen.

SPIDERGAWD – IV

Spidergawd IV

Gold Vinyl (ltd. 1,000 copies) / Black Vinyl (ltd.)
Crispin Clover Records

Einen Tag vor dem Spidergawd Konzert im FZW morgen, haue ich heute noch einmal einen Review ihrer neuen Platte raus, die am 24. Februar erschienen ist. Die Gruppe bleibt ihrer Tradition treu, ihre Scheiben einfach durch zu nummerieren und nach III folgt nach Adam Riese jetzt IV. Wieder wurde das Cover von der surrealistischen Künstlerin Emile Morel gestaltet und die limitierte Erstauflage des Vinyls wird als goldenes 180 gr Vinyl in einer mit dem Bandlogo bedruckten PVC-Hülle geliefert. Schick gemacht, wie immer.
Was ist seit der III passiert? Motorpsychos Bent Sæther hat die Gruppe verlassen und wurde durch Hallvard Gaardløs ersetzt. Im Gegenzug dazu verließ Schlagzeuger Kenneth Kapstad Motorpsycho und konzentriert sich nun voll auf das Spinnengott Projekt.
Die Band übertrifft sich in meinen Augen mit diesem Werk wieder einmal selbst. Es geht direkt in einem Mordstempo los. Zwischendurch wird in Liedern wie Ballad Of A Millionaire (Song For Elina) das Tempo mal etwas gedrosselt, bevor es auf der B-Seite wieder nach vorne prescht. Es rockt alles wie Sau, treibt die Füße zum unkontrollierten Wippen an und lässt den Zuhörer wieder bei The Inevitable etwas verschnaufen, mit dem Kopf nicken und in spaceige Weiten abdriften. Mein absoluter Favorit und Anspieltip: Heaven Comes Tomorrow! Yeah!
Die Produktion ist sehr voluminös, wunderbar abgemischt und liefert den typischen Spidergawd Sound. Die Platte hat sich mir auch beim x-ten Male Hören nicht ganz erschlossen und damit haben sie sich die zehn Punkte voll verdient.
Wer also eine sehr gute Rockband mit Saxophon mal live erleben will, die euch mal kräftig in den Arsch tritt, sollte sie auf einem ihrer Konzerte nicht verpassen!

KLONE – Unplugged

Klone - unplugged

Clear Red Vinyl (ltd. 250 copies) / CD – Digipack / Black Vinyl (ltd. 350 copies)
Pelagic Records

Klone stammen aus Poitiers in der Nähe von Nantes und La Rochelle im Westen Frankreichs und haben bereits diverse Platten veröffentlicht. Mit ihrem siebten Album werden sie noch ruhiger als es der Vorgänger schon war und sie haben diesmal komplett ihre Instrumente vom elektronischen Strom abgestöpselt.
Klone sind für die neue Platte extra in das unglaublich atmosphärische Théâtre de la Coupe d’Or in Rochefort (auf dem Cover zu sehen) gefahren, um dort einige Songs live einzuspielen. Zwei Lieder sind Studioaufnahmen. Sie wurden dabei von der lokal ansässigen Musikerin Armelle Dousset unterstützt, die sowohl Akkordeon, Percussion als auch Klavierparts beitrug.
Die meisten Songs der Scheibe stammen von der letzten Platte Here Comes The Sun, jedoch wurden auch Lieder wie Rocket Smoke von der Dreamer’s Hideaway (2012) neu eingespielt. Die B-Seite beginnt mit einem sehr aktuellen Cover von Depeche Modes People Are People in einer wunderbar verträumten Version.
Die einzelnen Stücke verströmen allesamt ihren eigenen akustischen und emotionalen Flair, der zwar die originalen Versionen wiedererkennen, aber eine vollständig neue Landschaft in den Köpfen entstehen lässt.
Lieder wie Fog mit einem vitalen Akkordeon erinnern irgendwie an französische Chansons und in der geistigen Landschaft tauchen Menschen mit Baskenmützen auf, die ihre Baguette nach Hause tragen und für einen Schwatz und Kaffee in einem Straßencafé anhalten.
Eine rundum gelungene Platte und ich freue mich bereits jetzt wie ein kleiner Springteufel auf das Konzert in Tilburg.

9-sterne

HELMET – Dead To The World

Helmet - Dead To The World

Clear Vinyl – Gatefold / CD – Digipack / Black Vinyl
Ear Music

Helmet ist sicher einer der größten Einflüsse in meinem musikalischen Kosmos. Ich liebe ihre alten Platten, bin aber von dem, was sie so in letzter Zeit fabriziert haben, weniger begeistert. Das liegt vielleicht auch daran, daß Mastermind Page Hamilton nach der Auflösung 1998 die Gruppe im Jahre 2004 wieder neu gründete ohne die früheren Mitglieder zu fragen oder einzubeziehen. Danach änderte sich nochmals das Line-Up und mit dem letzten Werk Seeing Eye Dog war ich weniger zufrieden.
Nun kündigte sich das neue Album Dead To The World an und wurde schon am 28. Oktober 2016 über Ear Music veröffentlicht. Bei Ear Music sind auch Bands wie Deep Purple oder Europe untergebracht.
Das Cover der Platte mit dem einsamen Typen, der durch die Wüste stapft und seine Fußabdrücke hinterlässt, ist wohl eines der besten Cover, die ich kenne und passt optimal zu Helmet. Merkwürdigerweise sind auf der Rückseite zwei Typen zu sehen, wobei die Fußabdrücke entweder nicht vorhanden sind oder urplötzlich im Sand beginnen. Eine Fotomontage anscheinend oder die Männer können fliegen.
Der Sound ist wie der Vorgänger Seeing Eye Dog eher ruhig, hat aber natürlich den typischen Helmet (Hamilton) Drive, Melodien-Bögen und die kreischenden Solis. Mir fehlt jedoch der Biss und die knackigen Peitschenhiebe der frühen Jahre und irgendwie gleitet die Platte nur so an mir vorbei ohne einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Der Opener Life Or Death ließ mit großer Freude aufhorchen, aber danach flauen die Songs irgendwie ab.
Ich muss jedoch zugeben, daß die Lieder live auf der Bühne jedoch ganz anders klingen als auf dem klaren Vinyl. Ich hatte Helmet am 07. Februar in Köln gesehen (Bericht erscheint in der OX im April und hier bei Veröffentlichung des Heftes) und da klangen die Lieder besser. Man merkt, Page Hamilton ist ein Perfektionist, aber ich liebe diese Band doch für ihre Vergangenheit.

6-sterne

„Street Messages“ book review

The famous Trust Fanzine from Germany published a real nice review on my current book „Street Messages in their current issue. Thanks so much Dolf for it!!!

 

Street Messages – Nicholas Ganz

The worst about scribbling on walls is when there is no message, if there is a message it makes sense and if it is a good message that is also either a great idea or a artistic gem – then it is awesome. So is this book, finally a book that concentrates on street artists who work with text. Forword by James Prigoff, followed by a preface from the author plus a historic overview on the background (humans write on walls since over 30.000 years) of public messages. Excellent. You find on over 140 pages, seperated in three main chapters ‚Street Messages‘, Political Messages‘ and ‚Street Poems‘, streetart by over 80 artists from around the world (including countrys like Lebanon, Argentinia, Iran, Israel, South Africa and Yemen). In the end there is more info on the artists, websites and further reading. Each artist is introduced with a short text and several photos of the art displayed. Perfekt. Not too much, just enough. Great projects like „The Bubble Project“ (blank speech-bubbles, pasted on advertising) , „Before I Die“ (bywalkers can finnish the sentence ‚Before I die I want to ________“ or Sklo from Singapore who puts up stickers on traffic lights. Not missing is the fantastic Billboard Liberation Front (founded in 1977, improving billboards) or Freewayblogger (reach up to 200.000 people a day putting up just one sign over a freeway) and even the, in Germany, well know „Stolpersteine“ project. There is so much more to be found in this book, some of the artists deserve (or have) their own book, but this is a very good start. For me personally the last chapter was not so appealing, but since there is nothing to complain about the first two, it is all good. Well, I’m sure the author and the publisher know this, but unfortunally the book is a bit small (18,5 x 1,8 x 21,5 cm) and in this case a coffeetable size book would have been the right size choice (considering what other shitty books use the big size), this book woud have defintily deserved to be blown up a bit, since the streetart shown on the photos is mainly great stuff. Therefore it is not expensive (18,95 Euro) and is a quality hardcover book. Well done, highly recommended – cant wait for the next one. Now go and get it, get inspired and go out or read more. (dolf)

Dokument Press, Box 773, 12002 Årsta, Sweden, http://www.dokument.org

Isbn 978-9185639731

 

Trust Fanzine review on Street Messages book - Dec. 2015

Trust Fanzine review on Street Messages book – Dec. 2015